Einzigartiger Höhepunkt des Musiksommers

Claudio Monteverdi: Marienvesper
01.09.2002, St.-Nikolai-Kirche Rostock

Heinz-Jürgen Staszak, Norddeutsche Neueste Nachrichten
03.09.2002

Monteverdis Marienvesper in St. Nikolai

Claudio Monteverdis „Marienvesper“ von 1610, eine zyklische Großkomposition von Mariensequenzen und -gebeten, ist, neben seiner Oper „Orfeo“, eine der Geburtsurkunden der modernen neu-zeitlichen Musik. Hier entdeckt die Musik, dass der Mensch eine unverwechselbare autonome Seele hat und sie macht sich geschmeidig, diese auszudrücken. In Mecklenburg war dieses Werk noch nie zu hören.
Erstmals in Mecklenburg gespielt
So war seine Aufführung im Rahmen des „Musiksommers Mecklenburg-Vorpommern“ in der Rostocker Nikolai-Kirche ein einzigartiger Höhepunkt dieses musikalischen Sommers. Nicht deshalb, weil hier – wie so oft in solchen Festivals – das schon Immergehörte zu erneutem blendendem Glanz aufpoliert, gleichsam das übliche auf höchstem Niveau wiederholt würde. Sondern hier geschah eine Innovation mit der Eröffnung eines bisher verborgenen geistigen Raumes.
Zu danken ist dies dem Kantor der St.-Johannis-Kirche Markus Johannes Langer und seinen Mitwirkenden, die die „Marienvesper“ hier in einer Einrichtung aufführten, die vom Rostocker Musikwissenschaftler Andreas Waczkat mitbetreut wurde. Langer gestaltete dieses alte Werk gleichsam von der Grenzscheide aus, in einer doppelten Optik, in einer fesselnden Balance von Alt und Neu.
Berührende Vielfältigkeit
Den Blick auf das Neue konzentrierte er besonders auf das musikalische Zentrum des Werkes, die menschliche Stimme, ihre Fähigkeit, dem Zustand der Seele körperlichen Ausdruck zu geben. Dazu führte er den Rostocker Motettenchor zu einer fast ariosen Geschmeidigkeit, in der dennoch das dichte Stimmengewebe (es gibt sechs- bis zehnstimmige Chöre) stets transparent blieb, aber nicht in gläserner Kühle, sondern in einer berührenden Vielfältigkeit des Ausdrucks.
Auf barocken Instrumenten
Dazu hatte er ein Solistenensemble so geglückt ausgewählt, mit der Dresdner Sopranistin Gertrud Günther, der blinden Augsburger Sopranistin Gerlinde Sämann, dem Schweriner Altus Meinderd Zwart, den Tenören Thomas Allen (Berlin), Peter Bartels (Lübeck), Martin Krumbiegel (Leipzig), den Bässen Sebastian Bluth (Berlin) und Thomas Hamberger (München) selbst ein kleiner Chor, das stilsicher und bestens abgestimmt das solistische Pendant zum Chor bot. Dabei bildeten sich Momente bewegender Innigkeit und tiefer Intensität, und selbst die Großartigkeit blieb noch persönlich.
Den Blick auf das Alte konzentrierte Langer vornehmlich auf den Klang. Dazu hatte er das Kölner Ensemble für Alte Musik verpflichtet, das ausschließlich auf barocken Instrumenten spielt, mit Barockposaunen, Zinken und Dulzian, aber nicht in puristischer Trockenheit, sondern in einer frischen Lebendigkeit, in einer faszinierenden klanglichen Mixtur von Fremdheit und Vertrautheit.
Ursprünge unserer Gefühlskultur
Dies alles band Langer zu einer Gesamtheit zusammen, in der sich die Stimmigkeit des Details eingliederte in den dramaturgischen Gang einer sich zunehmend steigernden Ausdrucksintensität, die schließlich aufgefangen wurde in der Strenge eines gregorianischen Chorals.
Damit ließ uns Langer für zwei Stunden in die Ursprünge unserer Gefühlskultur blicken, einer Kultur, die in den Kruditäten der Moderne wohl im Schwinden begriffen ist.